20100809

Tag 8 (29.07.10) Penzlin - Mölln - Altentreptow

Der Tag in der Sozialstation beginnt früh. Weil es schon so hell ist, fürchte ich, den Wecker verschlafen zu haben und hechte mich aus dem Schlafsack. Es ist erst Viertelsieben, ich bin aber wach. Also mache ich mich fertig und bin noch vor Sieben auf dem Weg. Allerdings habe ich mich vom gestrigen Marsch noch nicht wirklich erholt und werde die guten 20km bis Wolde nicht laufen können. Ich will die Etappe aber auch nicht teilen, denn langsam werde ich ungeduldig und will endlich ankommen. Ich will einfach nicht mehr auf dem Weg sein. Es nervt. Immer unsicher, auf der Suche, halbverirrt und völlig vom Wetter abhängig. Eigentlich will ich nach Hause. Aber ich bin ja jetzt fast am Ziel. Nur noch ein paar Tage. Ich muss geduldig sein.
Doch mein Drang nach dem Fortvonhier schlägt sich auch auf meine Laufgeschwindigkeit nieder: Die 11km bis Mölln laufe ich in knapp 3h inkl. Pausen. Von dort will ich mit dem Zug weiter und kriege auch direkt einen nach Neubrandenburg, dort steige ich um und fahre wieder nach Norden zurück bis Altentreptow.
Als ich ankomme ist noch nicht Mittag und ich bin bereits weit über das Tagesziel hinaus. Die Route verschiebt sich zunehmend, Und ich will immer nur weiter und weiter. Da hilft nur eins: Bleiben. Ich schaue mir Altentreptow an und setze mich an den Marktplatz. Später will ich im Pfarrhaus vorbeischauen, jetzt gilt es erstmal irgendwie Ruhe reinzubringen und die Route neu zu planen. 2-3 Tagesetappen sind es noch. Die werde ich wohl auch noch schaffen. Nur Anna muss ich jetzt nochmal anrufen und dagen, dass ich doch früher komme. Es ist schwierig, zu entscheiden, wie die Route jetzt weitergehen soll. Seit dem Verlassen der Seenplatte haben sich die Wanderwegen drastisch dezimiert. Auf der Landstraße läuft es sich nicht gut. Ständig muss man auf Autos lauschen und gegebenenfalls ausweichen. Campingplätze gibt es auch keine mehr. Es hat Spaß gemacht bis hierhin. Ein Wagnis, ein Abenteuer. Und nun? Scheitern will ich an diesen letzten knapp 70km nicht. Ach, ich weiß nicht... Frieden hab ich auch noch nicht gemacht, nicht wirklich. Habe nur angefangen. Vielleicht wäre jetzt, hier auf der Bank an der kleinen Tollense in Altentreptow der passende Zeitpunkt?
Nachdem ich einige Zeit lustlos Gedanken von Links nach Rechts geschoben habe, beschließe ich, mir die St. Petri-Kirche anzusehen, die ich für ein katholisches Gotteshaus halte. Sie ist groß, hat einen wunderschönen Altar und ist evangelisch. Der ältere Herr, der die offene Krche betreut, gibt mir neben einer Führung auch noch eine kleine Geschichtsstunde und zeigt mir am Ende sogar das Pfarrhaus.
Als ich dort klingle, bewegt sich nicht, aber ich habe aus Gestern gelernt und klingle erneut mit Nachdruck. Wieder nichts. Ich will zurück zur Kirche, um mir von meinem Historiker einen Rat geben zu lassen, aber da liest mich bereits ein Mitglied des Gemeindekirchenrates auf: Der Pfarrer ist im Urlaub. Der Kirchenälteste - Rudi - sieht mich lange an und überlegt. Schließlich befindet er mich für vertrauenswürdig und überlässt mir für diese Nacht den Jugendraum der Gemeinde. Er zeigt mir das Gebäude, das direkt auf dem Kirchhof steht, übergibt mir den Schlüssel und lässt mich wieder mit dem Historiker allein. Wieder werde ich nicht nach dem Namen gefragt. Vielleicht habe ich Namen immer überbewertet? Der Historiker jedenfalls - der gar kein Historiker ist, sondern ein geschichtsinteressierter Rentner - erzählt mir noch eine ganze Weil etwas über Napoleon, Luther, Kirchenbesucher, Zarah Leander, Greifswald und Altentreptow. Es ist bemerkenswert, was er alles weiß und zu berichten hat und als ich sehe, wie er beim Erzählen aufblüht, da beschließe ich, dass ich durchaus eine Stunde Zeit habe, um ihm zu zu hören. Als die Stunde fast rum ist, wird uns beiden das Stehen lang und wir verabschieden uns - er geht zurück in die Kirche und ich mache einen Stadtrundgang.
Jetzt erst bemerke ich, wie schön Altentreptow ist: Die malerische Altstadt, durch die die kleine Tollende fließt, die schmalen Gassen und der Park an der (großen) Tollense. Vor lauter Freude beschließe ich, heute Abend zu kochen und kaufe bei Aldi gnocchi, Champignons und Frühlingszwiebeln. Was im Jugendhaus folgt, ist feinste Improvisation: Ich ersetze Öl und Salz durch Salami und nehme Senf statt Pfeffer. Es ist ausgezeichnet. Und wie ich da in der Sonne bei meinem frühen Abendbrot sitze, passiert es: Ich mache Frieden.
Ich muss mich die letzten Kilometer nicht durchpeitschen. Ich bin hier im Urlaub. Morgen schaue ich mir Jarmen an und dann gehe ich ganz in Ruhe nach Greifswald hoch.

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